Die Zecke ist am Ziel:
Bleibt sie unbemerkt, ist sie der Erhaltung ihrer Art einen Schritt näher gekommen.
Zecken sind eine an die Widernisse des Lebens seit 350 Millionen Jahren optimal angepasste Gattung der Milben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit waren bereits in der Frühzeit einige Dinosaurierarten von ihnen befallen. Die große Überlebensfähigkeit der Zecke zeigt sich auch darin, dass ihre Gattung – wie auch Haie und Rochen – im Gegensatz zu den Dinosauriern nicht ausgestorben ist. Wir sollten uns also davor zu hüten, auf Zecken und ihre vermeintlich primitiven Fortpflanzungs- und Überlebenstechniken herabzuschauen und diese zu belächeln. Uns Menschen gibt es in der heutigen Form nämlich gerade mal 100.000 Jahre.
Aufgrund ihrer langen Saugdauer (Weibchen bis zu 2 Wochen, Männchen einige Tage) können Zecken auf ihrem Wirt (Mensch oder Tier) lange Strecken zurücklegen und unter günstigen klimatischen Bedingungen sich dort verbreiten. Immerhin können sie nach einer einzigen Blutmahlzeit bis zu 10 Jahre überleben. Ab 7° C und einer Luftfeuchtigkeit von > 50% sind Zecken zu vermehrungsfähigem Leben befähigt. Erst Temperaturen von < -20° C töten Larven, Nymphen oder Zecken. Auf diese Weise erstreckt sich ihr Repräsentanz-Areal von den Tropen bis zum nördlichen Polarkreis.
Natürlich wirkt es irgendwie hilflos, wenn ein blindes Exemplar der Gattung ‚gemeiner Holzbock’ (Ixodes ricinus) auf einem Blatt sitzt und sein mit je einem Duft oder Erschütterung wahrnehmenden Organ (Hallersches Organ) versehenes erstes Beinpaar in die Luft streckt, um das Herannahen eines Opfers zu wittern. Dabei stellt das Hallersche Organ im anatomischen Sinn eine Repräsentanz unterschiedlicher Sinneskategorien auf differente Reize dar. Nur wenige Zecken haben ein oder zwei seitlich angeordnete, belinste Sehgrubenpaare (ocelli = Äugelchen), wie z. B. Dermacentor reticulatus; der überwiegende Rest der Zeckengattung ist blind. Andererseits ist ein Weibchen in der Lage, ein soeben von ihr angesaugtes Tier so geschickt mit Sexualduftstoffen (Pheomone) zu kartieren, dass das Männchen, wie vom Navi gesteuert, direkt zu ihr gelockt wird. Unsere Parfum-Industrie versucht sein Jahren vergeblich, diese clevere Masche zu kopieren.
Zecken durchleben nach dem Ei-Stadium drei Stadien: Als Larve, als Nymphe und als Zecke. Als Larve und als Nymphe ist die Zecke noch geschlechtslos, als Zecke wird sie dann Männchen oder Weibchen. Natürliche Feinde der Zecken sind die Pilze Metarhizium anisopliae und Isaria fumosorosea, die für die Zecke tödlich sind. An den Pilzen der Gattung Hirsutella, Paecilomyces, Lecanicillium, Simplicillium, Acrodontium, Cladosporium, Beauveria und Ramularia können die Zecken schwer erkranken, jedoch meist nicht tödlich. Der Befall mit Fadenwürmern (Nematoden), die auch humanpathogen sind, ist für die Zecke ebenfalls tödlich. Es gibt Insekten (Ixodiphagus hookeri), eine Wespenart, die ihre Eier in Zecken ablegen und deren Larven die Zecken von innen her aushöhlen und töten. Hier bestehen Überlegungen, diese Wespenart in der Natur zu vermehren, um den Vormarsch der Zecken zu vermindern. Und schließlich fressen auch einige Vogelarten Zecken.
Wie gelangt nun eine talentierte Zecke auf ihr Wirtstier oder ihren Wirtsmenschen? Larven besitzen sechs Beine, Nymphen und Zecken acht. Bei ausreichenden Außentemperaturen setzen sie sich auf Gläser und Sträucher. Larven können bis 25 cm klettern, Nymphen bis 50 cm und ausgewachsene Zecken bis 150 cm. Zecken können uns also fast „auf Augenhöhe“ begegnen. An ihrem Warteort strecken sie nun beide „Fühlerbeine“ in die Höhe, so dass das Hallersche Organ Ausdünstungen wahrnehmen kann (CO2, Ammoniak, Buttersäure und andere Schweißbestandteile). Sie sind sogar in der Lage, Menschen selbst nach einer Dusche wahrzunehmen. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob Duftabwehrstoffe (Repellents) den natürlichen Geruch des Menschen „übertünchen“ oder aber auf Zecken abstoßend wirken.
Zecken der Gattung Amblyomma (Amblyomma variegatum, Amblyomma hebreum), die vornehmlich in Afrika vorkommen, warten nicht geduldig auf „ihren“ Wirt, sondern begeben sich aktiv auf die Suche nach ihm. Deswegen ist ein Wirt in diesem Fall oftmals von mehreren Zecken gleichzeitig befallen.
Es reicht auch nicht, scheinbar lückenlos bekleidet zu sein (Hose in Stiefel, lange Ärmel, Kopfbedeckung), weil Körperausdünstungen durch die meisten Textilien hindurch wahrnehmbar bleiben und Zecken selbst durch Kleiderritzen kriechen können. Ihr Krabbeln auf der Haut wird vom Menschen meist nicht bemerkt. Da die Zecke meist nicht sofort mit ihrer Saugaktion beginnt, sondern bis zu zwei Tage eine geeignete Stelle sucht, gelangt sie auch an bedeckte Körperstellen, wie z.B. Geschlechtsteile.
Der "Zeckenbiss" ist eigentlich eine Zeckenfräsung: Die Tierchen checken mittels ihrer vier Tastorgane (Pedipalpen) erst einmal eine günstige Stelle ab. Dann stechen sie mit einem aus zwei Teilen gebildeten Saugrohr (Hypostoma) durch die oberste Hautschicht des Wirts und sichern sich mit Widerhaken, die am Hypostoma verankert sind. Als nächstes fahren sie zwei Fräswerkzeuge (Cheliceren) aus, um das umliegende Gewebe zu fräsen und zu häckseln. Ein in die Wunde eingebrachtes Lokalbetäubungsmittel sorgt für Schmerzfreiheit beim Wirt. Dabei entsteht ein kleiner Blut- und Lymphsee, an dessen Rändern sie sich mit einem hierzu eingespritzten Biozement für die nächste lange Saugphase verankern. Mit dem Saugen lassen sich Zecken unterschiedlich viel Zeit. Zunächst werden lytische Enzyme in den Blutsee gespritzt, um eine Vorverdauung einzuleiten, danach beginnt der Saugakt. Während Larven und Nymphen relativ konstant saugen, unterbrechen adulte Weibchen den Saugakt, wenn trotz Absonderung von Sexuallockstoffen (Pheromonen) ein Männchen ausbleibt. Bisweilen brechen sie sogar den Saugakt ab und lassen sich vom Wirtstier abfallen, um auf erneute Suche nach einem Wirt zu gehen, der beides bietet: Blutpool und Paarungsort. Oftmals werden sie dann sogar direkt am Boden begattet. Nach dem Geschlechtsakt sterben männliche Zecken sofort, die weiblichen vollziehen noch die Eiablage und sterben dann. Erstaunlich ist, daß die Elterngeneration während der langen Phase der Eireifung bereits verstorben ist, und die Eier relativ schutzlos sind. Offensichtlich hat diese elternlose Phase seit 350 Millionen Jahren dem Überleben ihrer Gattung und der Verbreitung der Zecken nicht geschadet.
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